Fahrradio 69 – Interview mit Wasilis von Rauch vom VCD - Fahrradio

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Hans hat mit Wasilis in einem Skype-Interview über die Fahrradstädte der Zukunft, den Fahrradmarkt in China und Fahrradverleih gesprochen. Angefangen haben sie aber mit der großen Velocity-Konferenz, auf der Wasilis von Rauch erst vor kurzem war.

Links und Transkription nach dem Sprung.

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Transkription

Update (14.08.2015): Dies ist die erste halbe Stunde des Gesprächs als Text. Mehr schaffte die Transkriptorin nicht in der Zeit, die ihr zur Verfügung stand.

WR: Mein Name ist Wassilis von Rauch. Ich bin seit Anfang des Jahres im Bundesvorstand des VCD und habe zuvor verschiedene Projekte im Fahrradbereich gemacht, so von Elektrofahrrädern zu Lastenfahrrädern im Wirtschaftsverkehr und zu Best-Practice-Erfahrungsaustausch von europäischen Fahrradstädten. Das ist auch so mein Schwerpunkt im Bundesvorstand. Dass ich versuche beim VCD und in der verkehrspolitischen Diskussion in Deutschland die Fahrräder nach vorne zu bringen. Aber seit ich im Vorstand bin, geht’s auch immer mehr um allgemeine verkehrspolitische Themen wie Multimodalität, wie kann eine Stadt in der Zukunft aussehen und gut funktionieren. Das ist ganz interessant sich da breiter aufzustellen. Und privat schreibe ich noch ein Blog, das sich mit ähnlichen Themen beschäftigt. Das ist der E-Rad-Hafen. Da habe ich auch letztens Bilder und Berichte vom nationalem Radverkehrskongress und Velocity-Konferenz in Nantes hochgeladen und geschrieben.

HD: Die Velocitykonferenz, was ist das für eine Veranstaltung?

WR: Die Velocitykonferenz ist eine Serie von Konferenzen, die einmal im Jahr abwechselnd in Europa und auf einem anderen Kontinent stattfindet. Dieses Jahr war es in Nantes in Frankreich, letztes Jahr war es in Adelaide in Australien und davor das Jahr war es in Wien. Und im Prinzip trifft sich da von Politik über Verbände, Hersteller, Aktivisten eine bunte Mischung von Leuten, die sich mit Fahrrädern auseinandersetzen. Das ist sowohl ein fachlicher Austausch als auch eine motivierende Veranstaltung, wo viele Leute sind, die mit Leidenschaft was fürs Thema Rad tun. Normalerweise ist es dann auch so, dass in den Städten, wo das stattfindet, viel zum Thema Fahrrad passiert. Man bekommt einfach einen Überblick, darüber was gerade so in der Welt im Bereich Fahrrad passiert und man hat einen guten fachlichen und persönlichen Austausch mit einem Haufen von Leuten. Kann man empfehlen.

HD: Was gibt’s denn da für Leute? Gibt es da Helden des Fahrradverkehrs? Oder Leute, die man kennt, die dann Vorträge halten?

WR: Also das sind viele Repräsentanten von Städten und Fahrradbeauftragten. Jetzt zum Beispiel war die Bürgermeisterin von Nantes da, die was erzählt hat und die auch viel dafür tut, dass das Fahrrad in Nantes mehr Platz bekommt. Da sind aber auch Persönlichkeiten, die nicht aus der Politik kommen, die im Fahrradbereich eine Menge erreicht haben. Das können Umweltaktivisten aber auch Medienschaffende und öffentliche Verleihsystemanbieter, die da ihren Stand haben. Es sind zum Beispiel die Fahrradbotschaften aus Holland und den Niederlanden da, oder Agenturen, die Städte beraten, bei der Entwicklung einer besseren Fahrradpolitik beraten, zum Beispiel Copenhagenize, die kennen wohl die meisten, die auch das Städteranking zum Fahrradfahren in Städten machen. Wobei man sagen muss, dass dieser ganz kritische Kern, der bei Critical Mass und so weiter zu sehen ist, der ist da auch da, aber nicht so tonangebend. Es sind schon eher die professionellen Leute da. Es ist ja auch ein bisschen nachvollziehbar. Man muss ja auch nach Frankreich fahren, eine Unterkunft bezahlen und die Konferenz ist auch nicht kostenlos, die kostete diesmal, glaube ich, 800 Euro. Die Presseakkreditierung war für mich jetzt die Eingangstür. 800 Euro hätte ich dafür auch nicht zahlen können und das ist auch für interessierte Laien schwierig. Trotzdem waren etwa 1500 Leute da, und das ist schon ein deutlicher Teilnahmerekord.

HD: Warst du auch letztes Jahr bei dem Kongress in Australien?

WR: Nein.

HD: Und nächstes Jahr ist er ja in Asien…

WR: Ja genau. In Taipeh in Taiwan.

HD: Und bei dem Australischen Kongress da habe ich ein Interview gehört, mit einem der vorher bei der European Cycling Federation engagiert war und jetzt wieder nach Australien zurück ist. Jedenfalls meinte er, dass er da mit seiner Frau hingezogen ist. Und seine Frau kommt aus Europa. Die war überrascht, wie schnell die Fahrradfahrer da unterwegs sind und dass das sehr sportlich geprägt ist dort. Er sagte, dass es dort sehr wenige Fahrradfahrer gibt, die tragen dann aber Lycra und fallen deswegen auf. Und in Europa ist es so, dass es möglicherweise genauso viele Rennradfahrer gibt, die Lycra tragen, die fallen dann hier aber nicht so auf, weil es noch mehr langsame Radfahrer gibt. Wie sieht das denn in Nantes aus? Konnte man da sehen, ob in der Stadt das Rad ein Transportmittel ist?

WR: Also man sieht deutlich, dass die Stadt will, dass die Leute mehr Fahrrad fahren. Und es gibt an vielen Stellen neue Fahrradwege, breite Fahrradspuren, eine eigene Infrastruktur. Also da merkt man schon an einigen Stellen, bisschen Druck dahinter. Das ist politisch gewollt. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass noch nicht so viele Leute Fahrrad fahren. Das spielt keine so große Rolle wie in manchen deutschen Städten, wo die Infrastruktur schlechter ist, aber die Leute es aus den letzten 20 bis 30 Jahren gewohnt sind, Fahrrad zu fahren. Wenn man an die Ränder der Stadt fährt, dann dünnt es sich auch ein wenig aus. Dann sieht man noch so das alte Verkehrsmodell aus Frankreich, wo relativ wenig Fahrradverkehr war. Ich glaube schon, dass es in Europa mehr Alltagsradler als in Australien gibt. Zumindest habe ich das auch gehört. Das ist auch ein normaler Prozess auch in europäischen Ländern, dass die Leute zuerst das Fahrrad zum Sport nutzen und wenn es dann bequemer wird, die Alltasgradler hinzukommen. Italien ist da, glaube ich, auch so ein Beispiel, wo es sehr hoch motivierte Gruppen von Männern gab, die großen Spaß daran hatten am Wochenende Ausfahrten zu machen, aber unter der Woche trotzdem mit dem Auto zur Arbeit fahren. Das ist wohl eine sehr gängige Entwicklung. Der ADFC hat ja so eine ähnliche Entwicklung. Dass man über die Tourenangebote ganz viele Leute bekommen hat, die in der Freizeit geradelt sind, dann aber im Alltag Auto gefahren sind. Deswegen hat der ADFC auch so lange gebraucht, sich für Tempo 30 Zonen in Innenstädten einzusetzen, weil ganz viele Mitglieder das gar nicht mittragen wollten. Die haben dann gesagt, dass sie unter der Woche eben doch das Auto nutzen wollen und am Wochenende halt die Ausfahrten.

HD: Waren auch Leute vom ADFC Leute da?

WR: Ja die hatten da auch einen recht großen Stand. Wir vom VDC hatten keinen Stand. Wir haben ein Projekt präsentiert. Aber der ADFC ist da natürlich als mitgliederstärkster Verband der European Cycle Federation, die ja der Ausrichter ist, ist der natürlich gesetzt als großer Teilnehmer. Burkard Storck (?), der Bundesgeschäftsführer hat da auch an zahlreichen Panels teilgenommen und ein interessantes Statement zum Schluss abgegeben. Der ADFC hat auch mit der Radverkehrsbeauftragten, der Frau Worringen, die deutsche Fahrradbotschaft offiziell vorgestellt. Es gibt jetzt also die Initiative vom ADFC und dem Verkehrsministerium, dass man ähnlich wie in Holland und den Niederlanden eine Fahrradbotschaft als Koordinationsstelle für die deutsche Fahrradpolitik und –wirtschaft im internationalen Raum nach vorne bringt.

HD: Davon habe ich auch gehört, ich habe mich aber im Frühjahr mit Angela Marlet von der Cycling Embassy in Holland unterhalten. Sie hat gesagt, dass sehr viele Bürgermeister zu ihnen kommen, oder sie machen Workshops mit Städten. Da habe ich das Gefühl, dass Holland da einen Vorsprung gegenüber Deutschland hat. Kann Deutschland da überhaupt eine Botschaft rechtfertigen, oder ist das nicht etwas hoch gegriffen?

WR: Das ist schwierig zu beurteilen. Sicher ist es so, dass Länder wie Holland und Dänemark aufgrund ihrer gelungenen Fahrradpolitik auf der politischen Ebene einen Nährgrund haben eine Fahrradbotschaft zu betreiben. Allerdings hat Burkard Storck (?) bei der Vorstellung einige Dinge aufgezählt, die ich für begründet halte. Zum einen hat der Fahrradtourismus in Deutschland einen hohen Stellenwert. Ich kann hier aber keinen Zahlen nennen, aber das ist auf jeden Fall europäische Spitze, was da in Deutschland ist. Und mit der Recyclingsschwalbe und Nagura gibt es auch zahlreiche Hersteller, die internationale Relevanz haben. Als industriepolitische Institution kann man das also auch rechtfertigen. Und unabhängig davon, finde ich, es erstmal deshalb gut, weil es auch in Deutschland wichtig ist, dass das Fahrrad eine höhere Sichtbarkeit in der deutschen Politik bekommt. Und da schadet es schon mal nicht. Außer es wird ein totaler Papiertiger. Aber davon gehe ich nicht aus.

HD: Ich schätze Burkard Storck (?) durchaus positiv ein. Ich habe den letztes Jahr mal auf einem Kongress mitbekommen. Und beim ADFC ändert sich ja so einiges. Du hast es ja schon erwähnt: Weg vom bloßen Tourismus hin zur allgemeinen Fahrradförderung. Und da hat er ja auch einen größeren Anteil dran.

WR: Ja auf jeden Fall. Auch der Umzug nach Berlin war ein Signal. Und der hat auf jeden Fall eine stärkere politische Agenda als sein Vorgänger und ist auch streitbar und engagiert. Sein Statement zum Schluss der Konferenz war, dass die Fahrradpolitik in Deutschland und auch der ADFC viel zu sehr darauf gesetzt haben, dass Fahrradfahrer auf die Fahrbahn sollen und da sozusagen ein ganz anderer Weg entstanden ist, indem man eben nicht auf eine getrennte Infrastruktur gesetzt hat. Darauf hat der ADFC groß unterstützt und das hat er jetzt etwas in Frage gestellt, sogar gemeint, dass es ein Fehler war. Also dass man die Radwegbenutzungspflicht von alten, von Wurzeln durchschlagenen und schmalen Radwegen aufgehoben hat, ist schon richtig. Aber es ist eben auch so, dass ganz viele Menschen sich auf Schutzstreifen und Fahrradstreifen mitten auf der Fahrbahn nicht wohl fühlen. Das können Junge sein, das können Alte sein oder Leute die Kinder transportieren. Und das ist eben ein großes Problem, weil dann die Fahrradpolitik, egal ob das jetzt statistisch sicherer ist, einen großen Teil der Bevölkerung gar nicht an, weil die das nicht wollen. Ganz abgesehen davon, dass die Schutzstreifen von Fahrzeugen vollgestellt sind. Man hat sich da in eine Situation hineinmanövriert, in der Kommunen sagen könnten: Wir haben doch ein tolles Fahrradwegenetz, ihr könnt doch alle auf der Fahrbahn fahren. Burkard Storck hat das zwar auf eine Art und Weise vorgetragen, mit der er seinen eigenen Aktivisten wohl etwas vor den Kopf gestoßen hat, weil man die Verdienste der Aktivisten, die sich dafür eingesetzt haben, dass man auf der Fahrbahn fahren darf, sollte man jetzt nicht dagegen rechnen. Das muss schon zusammen gehen, sodass man da jetzt keinen Konflikt zwischen zwei Nutzergruppen aufmacht. Aber ich sehe schon, dass er recht hat, wenn es darum geht, dass es für die Städte eine zu einfache Methode ist, sich da rauszureden. Und wenn man Fahrradverkehr fördern will, dann sollte man nicht zulassen, dass Fahrradstreifen ständig zugeparkt sind. Es gibt einfach Straßen in Deutschland, wo es auch unangenehm ist, während dem Berufsverkehr darauf zu fahren. Und das ist dann nicht fahrradfreundlich. Ich hoffe, dass die Quintessenz dieses Statements eine neue Diskussion anstößt. Mannheim zum Beispiel ist eine der Städte, die echt viel Geld dafür ausgeben, die wagen sich sogar an die Bismarckstraße ran. Andere Städte wie Berlin, die sich mit nicht mal zwei Euro pro Person pro Jahr als fahrradfreundliche Stadt hinstellen, da muss man schon nochmal hinschauen.

HD: Jaja, die fahrradfreundlichen Städte. Da gibt es in NRW ja auch eine Arbeitsgemeinschaft. Ich frage mich da auch manchmal, was manche Städte darin verloren haben. Die heften sich das dann auch als Plakette an und sagen „Wir sind Mitglied der fahrradfreundlichen Städte“. Aber in vielen der Städten macht es keinen Spaß Fahrrad zu fahren oder ist sogar gefährlich. Ich gebe ja zu, dass ich persönlich auch lange Zeit dafür war, Fahrradfahrer auf die Straßen zu bringen. Es gibt ja dieses Argument: Wenn genügend Fahrradfahrer auf der Straße sind, kriegen das die Autofahrer mit. Aber es gibt ausreichend Leute, die dann einfach Angst haben und nicht die ersten sein wollen. Es ist einfach eine Situation, die nicht zufriedenstellend ist, für den in dem Fall schwächeren Teilnehmer. Natürlich ist es billig, da können die Städte schnell was machen. Aber dann malen die da einen Streifen hin, und dann ist der die ganze Zeit vollgeparkt. Und dann stellen wir uns möglicherweise auch mal drauf, wenn wir mit dem Auto unterwegs sind.

WR: Es ist empirisch schon so, dass die Menschen sich anders im Straßenverkehr verhalten, wenn da so ein Streifen ist. Aber ich finde halt diese Leute wie du und ich, die sicher Fahrrad fahren, für die müsste man einiges tun, damit wir nicht mehr fahren würden. Aber die Leute, die einfach nur von A nach B wollen, für die es keine Frage von sportlicher Herausforderung ist, die haben auch keine Lust sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob sie jetzt auf dem Gehweg fahren dürfen oder nicht oder ob es da einen Radweg gibt. Wenn man die Leute erreichen will, dann muss man anders an die Frage rangehen. Dann müsste man eigentlich die Leute fragen, die nicht Fahrrad fahren, was man tun müsste, damit sie aufs Fahrrad steigen. Und damit man die bisherigen Fahrradfahrer nicht verkrault, muss man dann eben aufpassen, dass man sich in diesem verkehrspolitischen und statistischen Rangehen bei der Fahrradförderung verliert. Da muss man auch schauen, was das sozialwissenschaftlich bedeutet. Das ist ein bisschen so ein Blindfleck in der deutschen Fahrradpolitik. Man schaut sehr viel auf Zahlen und Statistiken, hat aber kein Auge dafür, wie es den Leuten dabei geht, und ob es ihnen noch Spaß macht.

HD: Hast du denn eine Idee, wie man den Spaß am Fahrradfahren vermitteln kann? Oder muss da erst die Infrastruktur da sein?
WR: Ich glaube, was auf jeden Fall super ist, sind halt zum einen gezielte Angebote für Leute, die nicht von sich aus anfangen Fahrrad zu fahren. Wenn man zum Beispiel gezielt Elektrofahrrad-Kurse für Ältere anbietet oder Fahrradtrainings für Menschen aus Familien, wo Fahrradfahren was Neues ist. In Berlin gäbe es eine große Kundengruppe in Gebieten, die von Migranten geprägt sind, weil es da nicht zum normalen Umgang dazu gehört, Fahrrad zu fahren. Man sollte einfach direkt auf Bevölkerungsgruppen zugehen, die eben noch keinen Zugang zum Fahrradfahren haben. Und zum anderen könnte man anfangen zu versuchen, in der Forschung mehr auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Und dann darauf eingehen, was die Leute sagen, die eben bisher nicht Fahrrad fahren und vielleicht umgekehrt, wie es in Kopenhagen ist. Da werden die Fahrradfahrer immer wieder befragt, was ihnen gefällt und was nicht. Die Leute müssen einfach stärker in den Mittelpunkt gerückt werden und nicht so sehr die Planungsgrundlagen. Wir überlegen auch gerade, wie wir ältere Menschen an Elektrofahrräder heranführen können und ihnen zeigt, wie man sicher damit unterwegs sein kann. Und wenn man auch von oben herab vorgeht, wenn man die Leute da abholt, wo sie sich unwohl fühlen, dann hätte man eine gute Strategie, wie man an die Leute herankommt, die jetzt das Fahrrad noch gar nicht als Alternative sehen.

HD: Vor ein paar Tagen, habe ich eine Frau gesehen, die hat sich wohl sehr wohl gefühlt mit ihrem E-Bike. Die ist in einer nicht sehr stark befahrenen Straße auf dem Gehsteig geflitzt, und hat dann eine Straße überquert, da stand ein Mann mit seinem kleinen Kind auf dem Laufrad, und da ist sie einfach so flott über die Kreuzung ganz knapp an dem kleinen Jungen vorbei und auf dem Gehweg weitergeflitzt und hat dann ihr Rad abgestellt und ist ins Haus rein. Da dachte ich mir: Wahrscheinlich geht sie davon aus, dass sie mit ihrem Fahrrad auf dem Gehweg fahren muss, oder meint, dass sie da auf der Straße nichts verloren hat. Also vielleicht wäre das auch was für Erziehung.
WR: Ja, auf jeden Fall. Die Regelkenntnis bei allen Leuten, die im Straßenverkehr unterwegs sind, zu verbessern, schadet nicht. Das geht natürlich gar nicht, das ist ganz wichtig, für einen wachsenden Fahrradfahreranteil, dass sich die Fußgänger nicht bedroht fühlen. Damit steht und fällt der Erfolg des Radverkehrs. Das Fahrrad wird dann erfolgreich sein, wenn es mit dem öffentlichen und dem Fußverkehr einhergeht. Sodass man dann die Stadt beim unterwegs sein als Erlebnis hat und sich sicher und wohl fühlt. Das funktioniert eigentlich dann, wenn man gerne zu Fuß unterwegs ist, mit der Bahn und dem Rad fahren kann. Dann ist eine Stadt am ehesten lebenswert und zu einem Raum, wo man kommunizieren kann und sich nicht verletzt, nur weil man einen Schritt in die falsche Richtung macht, was ja jetzt de facto so ist. Das ist ein gesellschaftlicher Zustand, der zur Zeit einfach akzeptiert ist. Da müssen auch Radfahrer drauf aufpassen, dass sie nicht zur Gefährdung werden. Das ist auch eine Frage, die wir ganz zentral hatten in unserem „European Biking Cities“-Projekt, wo wir so aufsteigende Städte aus verschiedenen Ländern als Teilnehmer hatten. Und die haben alle gesagt, dass ihnen der Bereich Verhältnis Fahrrad- und Fußverkehr sehr wichtig ist, wenn es um den Erfolg. Es gibt dann irgendwann einen kritischen Punkt, ab dem eine gewisse Menge Leute Fahrrad fährt und dann kommt aber die Frage, was ist eigentlich mit den Fußgängerzonen? Und wie kriegt man es dann hin, dass alles harmonisch abläuft zwischen den Nutzergruppen?

HD: Diese Städte, da ist Mannheim, glaube ich, auch dabei. Wie heißt das Projekt nochmal?

WR: European Biking Cities. Das findet man auch im Internet auf der Seite Cleanair vom VCD. Also Cleanair ist ein Projekt, bei dem es um Luftreinheit geht. Und darum wie Städte ihre Ziele da erreichen können. Und wir haben gesagt, da geht es eben nicht nur um Umweltzonen, sondern es geht auch darum eine Verkehrsverlagerung zu erreichen. Deswegen haben wir da so ein Projekt, dass sich damit beschäftigt: Wie fördere ich eigentlich Fahrradverkehr in Städten? Da waren echt Städte dabei die top sind, wie Straßburg, Victoria in Spanien, die einen erheblich großen Fußgängeranteil haben, Potsdam, Mannheim, Brighton und Bozen. Also Städte, die alle schon sehr weit sind.

HD: Und tauschen die sich untereinander aus? Oder was haben die von dem Projekt?

WR: Ja, genau. Es ist eigentlich ein Projekt, bei dem sich die Fahrradbeauftragten der Stadt treffen und untereinander austauschen. Es ist gar nicht so, dass wir da irre viel Infrastruktur bauen, sondern im Wesentlichen besteht das Projekt daraus, dass die Leute sich mit ihrem gebündelten Wissen zusammensetzen. Und das ist enorm! Und dann geht es auch darum, zu sehen, wie funktioniert es denn in einer Stadt in Frankreich oder in Großbritannien. Das war für mich sehr beeindruckend, was da für eine Dynamik zustande kam. Das hat auch dazu geführt, dass teilweise Sachen auch in den alten Städten neu angeschoben wurden. Wir haben dann zum Beispiel eine Veranstaltung in einem Radfahrercafé in Brighton gemacht. Und seitdem treffen sich da alle zwei Wochen die Fahrradaktivisten und reden über Fahrradförderung. Wenn da mal so ein bisschen internationaler Push reinkommt, dann merkt man, dass es anfängt sich zu bewegen. Eine sehr beeindruckende Erfahrung.

HD: Ein Radfahrercafé gibt es in Köln nicht. Ist das denn cool? Treffen sich da dann so Fahrradkuriere?

WR: Das ist direkt am Bahnhof, im Bahnhofsgebäude. Das sieht eher aus wie ein nettes englisches Pub. Ich glaube, es heißt sogar Cyclist. Aber wenn es nicht so heißen würde, würde man nicht direkt merken, dass es speziell für Radfahrer ist.

HD: Hat das dann einen Laden dabei oder eine Werkstatt oder wodurch zeichnet sich das aus?

WR: Direkt am Bahnhof gibt es einen Fahrradverleih, und am Hinterausgang ist ein großes Parkhaus, das leider noch nicht eröffnet war, als wir da waren. Und es gibt kombiniert mit diesem Radverleih ein Lastenradzustellunternehmen, das gemeinsam mit der DHL innerhalb von Brighton Pakete ausliefert. Also man bekommt an diesem Bahnhof sehr viel Fahrradservice, aber das ist nicht direkt an das Café angelagert.

HD: Sodass man nicht zum Fahrradexperten werden muss, sondern das Ding wie ein Auto benutzen kann?

WR: Richtig.

HD: Du warst vor einer Weile auch in Asien. Das scheint also zumindest von deinem Bericht her ganz beeindruckend gewesen zu sein.

WR: Ja, der Besuch in China war für mich total spannend, weil ich da die Gelegenheit hatte ganz viele Fahrradfabriken und Akku- und Motorenhersteller zu besuchen und zu sehen, was da für eine Dynamik grade drin steckt in der Fahrradproduktion. Das ist irre, was da für eine Menge an Fahrrädern oder auch leichten Elektrofahrzeugen, wie Scooter und so Dreiräder für den Gütertransport, hergestellt wird. Das war halt von der Herstellerseite als auch von der verkehrspolitischen Seite total beeindruckend, weil die ihre Millionenstädte haben, die aus allen Nähten platzen. Und die chinesische Regierung plant auch noch in den nächsten 10 bis 15 Jahren an die 500 Millionen Menschen in die Städte zu bringen. Das ist unvorstellbar, wenn man das auf europäische Verhältnisse runterbricht. Die haben da einfach den Plan für mehrere hundert urbane Regionen. Das muss verkehrstechnisch natürlich auch alles geplant sein, damit das nicht total im Chaos versinkt. Und deswegen bauen die in Shanghai und Peking das größte bzw. passagierreichste U-Bahn-Netz der Welt und sperren zum Beispiel die Innenstädte für LWK bis zehn Uhr abends und alles wird nur mit Elektrodreirädern transportiert. Also die haben einfach durch ihre Fähigkeit die Sachen ohne große Diskussionsprozesse durchzudrücken, bringe sie einfach sehr drastische Maßnahmen durch. Im Gegensatz zu Russland hat man das Gefühl, dass die Putinsche Elite einen Plan hat. Klar da gibt es auch Korruption, keine Frage. Aber sie haben einen Masterplan, der schon darauf abzielt, dass die Ökonomie und die Siedlungsstruktur noch funktioniert, neben der persönlichen Bereicherung. Da gibt es trotzdem eine klare Ausrichtung. Das ist halt interessant daran.

HD: Ja, ich habe kürzlich in einem Buch von einem Wirtschaftswissenschaftler gelesen, dass dieses chinesische Modell gerade durch diese fehlende Demokratie oft Leute an den Hebeln sitzen, die sich mit ihrem Subjekt auskennen. Anders als in vielen anderen Ländern, wo eben gewählt wird, wo Politiker in Positionen gespült werden, die nichts mit ihrer Kenntnis zu tun haben.

WR: Also ich will das auf gar keinen Fall positiv bewerten, was da politisch abläuft.

HD: Ja, das war jetzt nur als Denkanregung.

WR: Ja, ich merk es nur bei mir selber, dass ich da oft positiv beeindruckt war, von dem was die da durchziehen. Es gibt eben auch diese, nennen wir es, sinnvollen Überlegungen. Ich würde es so sagen, dass die Elite der kommunistischen Partei ein Haufen von Technokraten ist. Die haben eine Vorstellung von dem, was sie wollen. Und die berechnen alles. So wie ich das verstanden habe, gibt es da auf dem Parteitag immer ein riesen Zahlenwerk, von dem dann Entwicklungen abgelesen werden. Sie haben zumindest eine Grundlage, auf der sie entscheiden, auch wenn sie vielleicht nicht jeder versteht oder sich nicht einig ist mit den Zielen.

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